ERP-Funktionen: Darum sollten Sie sich bei der Planung selbst beschränken
Wenn Unternehmen vor der Anschaffung eines neuen ERP-Systems stehen, sammeln sie ihre Anforderungen. Zumeist entsteht dabei eine lange Liste von Funktionen, die es ‘unbedingt’ braucht – und nicht selten handelt es sich bei vielen dieser Wünsche um Funktionen, die individuell entwickelt werden müssten.
Auf den ersten Blick erscheinen solche Individualentwicklungen reizvoll – immerhin wird das System somit genau an die jeweiligen Anforderungen angepasst. Doch wie sinnvoll ist es, sich Zusatzfunktionen als individuelle Erweiterungen programmieren zu lassen?
Individualentwicklungen machen Systeme unnötig komplex
Wenn Sie ein neues ER-System anschaffen, sind Sie gut damit beraten, alle Abteilungen Ihres Unternehmens mit einzubeziehen. Dieser Ansatz – so sinnvoll er auch sein mag – kann jedoch auch zu Problemen führen. Dann natürlich wissen alle Beteiligten, dass sie die Chance nutzen müssen. Anderenfalls müssen sie sonst wieder lange Jahre warten. Deshalb fordern sie häufig mehr, als sie brauchen. „Manche Kunden wollen über XML mit dem Mond kommunizieren“ ist eine bekannte Redensart, die diesen Prozess perfekt charakterisiert.
Wenn Sie sich auf diese Anforderungen einlassen, dann hat das Folgen: Die Implementierungszeit verlängert sich, wodurch wiederum die Kosten und Risiken steigen; vor allem aber bleibt die Komplexität erhalten. Jede zusätzliche Funktion macht das System größer, ressourcenhungriger, schwerfälliger und schwieriger zu bedienen. Das gilt besonders für Funktionen, die standardmäßig nicht vorhanden sind und für Sie entworfen wurden, denn sie bedeuten auch für die Herstellerfirma des ERP-Systems einen Lernprozess. Nicht selten führen Spezialanpassungen auch bei späteren Updates zu Problemen, die mit hohem Aufwand gelöst werden müssen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie lange die Individualentwicklungen überhaupt verwendet werden können. Oft nutzen Unternehmen in der Praxis nur einen kleinen Teil der verfügbaren Funktionen ihrer IT-Lösungen. Denn wenn das Kunstwerk schließlich in Betrieb genommen wird, stellt sich heraus, dass sich die Dynamik des Marktes so stark verändert hat, dass die gewählte Konfiguration bereits veraltet ist.
Individualentwicklungen gefährden den Erfolg des neuen ERP-Systems
Der Mensch ist von Natur aus kein Freund von Veränderungen. Auch neue ERP-Systeme stoßen regelmäßig auf Widerstand. Sie kennen Aussagen wie: „Ja, aber in unserem derzeitigen System …“, „Wir sind im Moment an … gewöhnt“ und natürlich „Das haben wir immer schon so gemacht.“
Manchmal zeigen es die Endnutzer ganz direkt: Sie wollen das neue System nicht akzeptieren. Meistens manifestiert sich der Widerstand jedoch subtiler, aber mit kostspieligen und dauerhaften Folgen. In diesen Fällen ist es die Aufgabe der Unternehmensleitung, aktiv zu werden – allerdings geschieht das nicht immer so, wie es sollte.
Denn anstatt die Änderungen durchzusprechen und die Zweifel wieder mit ins Boot zu holen, werden zusätzliche Individualentwicklungen bestellt. Nicht, weil sie unverzichtbar sind und bisher gefehlt haben. Sondern als eine Art Schmiermittel, das den Nutzern ein Entgegenkommen signalisieren und den Übergang von der alten zur neuen Situation erleichtern soll. Im schlimmsten Fall, indem man das neue System so weit wie möglich wie das alte aussehen lässt.
Doch auch das alte System war irgendwann mal neu, und die Benutzer mussten sich daran gewöhnen. Das hat jedoch offenkundig funktioniert. Warum also sollte es bei dem neuen – besseren – ERP-System nicht klappen? Funktionen als Schmiermittel einzusetzen macht die ohnehin notwendige Umgewöhnung nur schwieriger und gefährdet damit den Erfolg das Projekts ‘Einführung eines neuen ERP-Systems’ nachhaltig, anstatt ihn zu unterstützen. Und wenn der Prozess dann doch gelingt, werden die teuer eingekauften Spezialfunktionen überhaupt nicht mehr genutzt. Frei nach dem Motto ‘Viel Lärm um nichts’ stellt sich dann die Frage, warum diese Individualentwicklungen überhaupt teuer eingekauft werden mussten.
Einfacher ist besser
Auch deswegen ist es summa summarum sinnvoller, Individualentwicklungen nur im absoluten Ausnahmefall einzukaufen und sich stattdessen auf den Standard des neuen ERP-Systems einzulassen. Gerade in der heutigen, von schnellem Wandel gekennzeichneten Welt, ist Einfachheit für Ihre Geschäftsprozesse ein großer Vorteil. Außerdem sind Sie dadurch weniger abhängig von der Handvoll leitender Mitarbeiter, die die aktuelle Komplexität verstehen. Und schließlich wird Ihre Organisation dadurch skalierbarer. Wenn Sie sich an die Standardfunktionen Ihrer bevorzugten Lösung halten, können Sie von allen Innovationen profitieren, die für die kommenden Jahren zu erwarten sind.
Fazit
Individualentwicklungen für neu angeschaffte ERP-Systeme lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Funktionen, die für ein Unternehmen von entscheidender Bedeutung sind und bei denen sich die Investition daher lohnt; und Funktionen, die nur dazu dienen, den Übergang zu erleichtern.
Letztere sind zwar gut gemeint, bringen aber Probleme mit sich: Sie steigern die Komplexität und die Kosten des neuen Systems, haben aber keinen entsprechenden Mehrwert. Im schlimmsten Fall führen sie dazu, dass genau diejenigen Probleme weiter bestehen, wegen denen das frühere System überhaupt erst ersetzt werden musste. Dementsprechend werden Individualentwicklungen der zweiten Kategorie entweder schnell ‘eingemottet’ – oder behindern das weitere Wachstum des Unternehmens auf nachhaltige Art und Weise.
Wenn Sie also bei der Zusammenstellung Ihres Anforderungs- und Wunschkatalogs realistisch sind und sich auf die Reduzierung der Komplexität konzentrieren, wird dies der erste Sieg für Ihr neues ERP-System sein!